Wenn ein Mann und eine Frau heiraten wollen, redet man in China oft
davon, daß der "Mann im Mondschein" sie zusammengebracht hat.
Überlieferungen zufolge gab es während der Tang-Dynastie im 9.
Jahrhundert einen jungen Mann namens Wei Gu. Auf seiner Reise
übernachteten er und sein Gefolge einmal in einem Wirtshaus in der
Stadt Songcheng. Am Abend, als er einen Bummel durch die Straße
machte, sah er einen alten Mann im Mondschein sitzen und ein dickes
Buch durchblättern. Neben ihm lag eine große Baumwolltasche voller
roter Schnüre. Wei Gu fragte ihn, was das für ein Buch sei. Der
Mann antwortete: "Es ist ein Register für die Ehe." Das hat die
Neugier Wei Gus nur noch mehr gesteigert. "Wozu brauchst du denn
diese roten Schnüre?", wollte er weiter wissen. Der alte Mann
antwortete lächelnd: "Die benutze ich, die Füße der Pärchen
zusammen zu binden. Wenn ich das tue, werden der Mann und die Frau
bestimmt heiraten. Egal, ob sie Freunde oder Feinde sind, oder ob
sie ganz nah oder ziemlich weit von einander wohnen." Wei Gu hielt
die Worte des Mannes für einen Scherz. Trotzdem interessierte er
sich sehr für diesen seltsamen, alten Mann und wollte ihm noch ein
Paar Fragen stellen. Da stand der alte Mann jedoch auf und ging
weg. Wei Gu folgte ihm, um zu sehen, ob er doch die Wahrheit gesagt
hatte. Nach einer Weile sahen sie eine Dienerin entgegenkommen. Sie
hielt ein kleines Mädchen im Arm. Da sagte der Mann zu Wei Gu,
dieses kleine Mädchen im Arm der Dienerin wird später deine Frau.
Wei Gu war verärgert, denn er dachte, der Mann scherze nur. So
befahl er heimlich seinem Gefolge, das Mädchen umzubringen. So
werde die Voraussage des Mannes nicht eintreffen, dachte er. Wei
Gus Gefolge fand das kleine Mädchen, stach ihr mit dem Messe ins
Gesicht und lief schnell weg.
Die Zeit verging schnell. Mehr als 10 Jahre waren vergangen. Wei Gu
hatte inzwischen eine Verlobte und wollte heiraten. Sie war die
einzige Tochter eines Beamten der Region. Das Mädchen war sehr
schön. Doch hatte sie bedauerlicherweise eine Narbe zwischen den
Brauen. Eines Tages fragte Wei Gu seinen künftigen Schwiegervater,
woher seine Tochter die Narbe zwischen den Brauen hat? Der Beamte
erwiderte: "Es war ein schreckliches Erlebnis. Vor mehr als 10
Jahren wohnten wir in der Stadt Songcheng. Eines Tages, als unser
Kindermädchen mit meiner Tochter unterwegs war, kam plötzlich ein
Schurker und stach meiner kleinen Tochter grundlos ins Gesicht.
Glücklicherweise war der Stich nicht lebensgefährlich. Geblieben
war lediglich diese Narbe. Es war sozusagen Glück im Unglück." Wei
Gu starrte leer vor sich hin, seine Erlebnisse vor 10 Jahren in
Songcheng holten ihn ein. Sein künftiger Schwiegervater wunderte
sich wegen des seltsamen Gesichtsausdrucks von Wei Gu und fragte
ihn nach dem Grund. Wei Gu konnte sich erst nach und nach wieder
beruhigen und erzählte seinem Schwiegervater von der Begegnung mit
einem alten Mann in Songcheng. Die Voraussage des Mannes war
eingetroffen. Seine Verlobte war genau das kleine Mädchen, auf das
er in Songcheng traf. Das erstaunte Wei Gus Schwiegervater
sehr.
Erst dann wurde Wei Gu klar, daß der alte Mann nicht gescherzt
hatte. Seine Ehe wurde tatsächlich von dem Mann im Mondlicht
bestimmt. Wei Gu und seine Frau führten eine schöne Ehe und ein
glückliches Leben. Diese Geschichte ist in China weit und breit
bekannt. So glaubt man allgemein, daß Ehepaare von dem "Mann im
Mondlicht" zusammengebracht werden. So nennt man zum Beispiel einen
Ehevermittler bis heute "Yuelao", also "Mann im Mondlicht".
Yugong war ein 90-jähriger Mann. Vor seinem Haus ragten zwei Berge
in die Höhe. Der eine trug den Namen Taihang. Der andere wurde
Wangwu genannt. Beide Berge waren Yugong ein Dorn im Auge, da sie
sein Kommen und Gehen belästigen. Eines Tages rief er seine
Familienangehörigen zu sich und sagte: "Die beiden Berge haben
unser Haus versperrt, deshalb müssen wir täglich einen großen Umweg
machen. Was haltet Ihr davon, sie einfach zu versetzen?" Yugongs
Söhne und Enkel stimmten seiner Idee zu. "Du hast Recht, fangen wir
doch gleich morgen damit an." Yugongs Frau war jedoch anderer
Meinung. "Wir leben schon so viele Jahre hier, wieso können wir
nicht weiter so leben wie früher? Übrigens, selbst wenn wir die
Berge Stein für Stein abtragen könnten, wo schaffen wir sie
hin?"
Der Einwand von Yugongs Frau rief eine heftige Diskussion hervor.
Am Ende beschlossen sie, die Steine und Erdemassen ins Meer zu
kippen. Am folgenden Tag begann Yugongs ganze Familie mit der
Arbeit. Als Werkzeuge hatten sie nur Hacken und Körbe zur
Verfügung. Das Vorhaben erwies sich als sehr ansrtrengend, da es
ziemlich weit war bis zum Meer. Nach vier Wochen harter Arbeit
sahen die Berge noch fast genauso aus wie zuvor.
Yugongs Nachbar Zhiso, wörtlich übersetzt "kluger Greis" fand die
Idee der Familie Yugong lächerlich und sagte zu Yugong: "Du bist so
alt, hast selbst beim Gehen Probleme, wie willst du denn zwei Berge
versetzen?" Yugong antwortete:" Du bist gar nicht so klug wie dein
Name. Ich bin zwar dem Tod nahe, doch habe ich Söhne. Und nach dem
Tod meiner Söhne leben noch meine Enkel. So folgt eine Generation
der anderen. Die Steine werden sich dagegen nicht vermehren. Wenn
man sie Tag fürTag, Jahr für Jahr versetzt, ist es bestimmt zu
schaffen." Zhiso, der sich für klug hielt, hatte dem nichts mehr zu
erwidern.
Der Fleiß von Yugong und seiner Familie hat den Himmelsgott
berührt. Er sandte zwei Gottheiten auf die Erde. Sie nahmen die
Berge kurzerhand auf den Rücken und trugen sie weg.
Die Fabel macht klar, dass Ausdauer und Willensstärke, wie man
sogar auf deutsch sagt, Berge versetzen können.