Die Farbe Rot bestimmt das Frühlingsfest. Rote Laternen, rote
Bänder, rote Knallkörper, rote Umschläge mit etwas Taschengeld drin
für Kleinkinder - und rote kandierte Früchte. Alles leuchtet
rundherum rot zum wichtigsten Fest der Chinesen.
An
den vielen Imbissständen auf dem Jahrmarkt sind die kandierten
Früchte, auf Chinesisch „Bingtanghulu“ genannt, die absoluten
Renner bei den Naschereien.
Ja, und so besingt denn auch das Volkslied „Bingtanghulu“ diese
roten, ein bisschen süßen und zugleich auch ein bisschen sauren
Köstlichkeiten zum Frühlingsfest. Der Text lautet:
„Bingtanghulu sind zuckersüß und auch ein bisschen sauer,
Rotdornfrüchte, aufgereiht auf einem Bambusspieß:
Viele rote Bingtanghulu, dicht beieinander, wie die Familie zum
Fest in einem Boot.
Rotdornfrüchte, aufgereiht am Bambusspieß:
Wie Perlen einer Kette aus Glück und Freude jeden Tag.
Rotdornfrüchte, alle rot und rund,
und fest umhüllt von einer Zuckerschicht,
Bingtanghulu schmeckt einfach jedem gut,
und hält alle jung und kerngesund.“
Die Beschreibung imLied ist ziemlich treffend, allerdings ist die
Herstellung der Hülle aus kandiertem Zucker eine höchst
umständliche Sache.
Man muss erstens ein wenig Öl in einem Topf und außerdem
Zuckerwasser vorbereiten. Dieses wird dann in dem Topf bei großer
Hitze für mindestens zehn Minuten eingekocht, sodaß Sirup entsteht.
Aber Vorsicht – sobald das Sirup brodelt, muss sofort die Hitze
reduziert werden, aber nicht völlig, sonst ist alles vorbei.
Ach ja, und außerdem muss man die Masse natürlich ständig rühren.
Ab und zu soll auch wenig Wasser hinzugefügt werden. Bei alledem
können weder das Verhältnis von Zucker und Wasser, noch die Länge
der Einkochzeit oder die Hitze in präzisen Zahlen und Daten
angegeben werden. Hier ist Erfahrung gefragt - und Kunstverstand,
denn die Zubereitung des Überzugs ist eine Kunst. Und Sie würden ja
wohl einen Künstler auch nicht mit der Frage beleidigen, wie viel
Gramm Farbe er wohl auf seinem Gemälde verpinselt hat, oder?...
Doch zurück zu Zuckerglasur – damit nicht genug, denn parallel zum
Einkochen des Sirups müssen die Rotdornfrüchte auf die Spieße
gereiht werden.
Und dann kommt die Stunde der Wahrheit:
Erfordert doch schon der vorletzte Schritt bei der Zubereitung des
Bintanghulu, nämlich die Früchte mit Sirup zu überziehen, äußerstes
Fingerspitzengefühl.
Und dann erst der letzte Schritt! Auch der ist nämlich nicht ohne.
Ein erfahrener Koch weiß genau, dass die gerade eben kandierten
Früchte am Spieß noch vorsichtig auf eine Steinplatte gelegt werden
müssen. Nur so wird die leckere Nascherei dann nicht nur gut
schmecken, sondern auch noch verführerisch-lecker aussehen.
Ja, und wenn ich Ihnen dann noch sage, dass diese leckere
Köstlichkeit eigentlich eine Medizin war, die ein Barfuss- Arzt
einst dem Kaiser Zhao Dun in der Song-Dynastie empfohlen hatte.
dann wird auch dies Sie hoffentlich nicht mehr allzu sehr
überraschen. Aber zurück zum Kaiser und seiner Medizin. Eigentlich
ging es ja um die Kaiserin, die eines Tages plötzlich schwer
erkrankte. Sie hatte keinen Appetit mehr und wurde zusehends
magerer. Natürlich litt unser Kaiser gehörig mit, doch die
kaiserlichen Ärzte wussten keinen Rat. Da kam ein Barfuss- Arzt des
Wegs, und der empfahl Zhao Dun die mit Kandiszucker eingekochten
Rotdornfrüchte. Mit dieser Medizin werde die Kaiserin wieder völlig
gesund, versprach der Barfuss- Arzt. Während die kaiserlichen Ärzte
über dieses schlichte und schäbige Rezept lachten, beschloss der
Kaiser, seiner Frau diese Medizin zu verabreichen. So richtig
überzeugt war er ja nicht von diesem Rezept, aber warum sollte man
es nicht probieren, zumal ja die Kaiserin die runden roten Dinger
essen sollte und nicht er selbst. Die Kaiserin war ziemlich
begeistert, zumal die Medizin nicht so bitter schmeckte, wie das
Zeug, das Hofärzte immer zu verabreichen pflegten. Also genoss die
Kaiserin die süß-saueren kandierten Rotdornfrüchte, und sie genoss
zusehends. Kein Wunder, als die erste Dosis alle war, verlangte sie
nach mehr. Die Prognose des Barfuss- Arztes hatte sich
bewahrheitet, innerhalb von zwei Wochen war die Kaiserin wieder
putzmunter.
Ja, und wie war nun der Barfuss- Arzt auf die Idee mit den
Rotdornfrüchten gekommen? Ganz einfach: Er sah auf den ersten
Blick, dass die Kaiserin wegen des vielen reichhaltigen Essens an
Verstopfung litt. Da empfahl er diese einfache Kost - und schon war
das kaiserliche Verdauungsproblem gelöst.
Dass ein Barfuss-Arzt die Kaiserin von ihrem Leiden geheilt hatte
und damit alle kaiserlichen Ärzte aus dem Feld schlug, sprach sich
in Windeseile herum - in der Hauptstadt sprach jeder von diesem
spektakulären und legendären Rezept. Pfiffige Händler witterten
sofort eine Marktlücke und testeten die kandierten Rotdornfrüchte
sicherheitshalber erst einmal an ihren Hauswirten, und dann konnte
der Boom auf den Jahrmärkten beginnen.
Ja, und im Märchen heißt es zum Schluss ja immer „und wenn sie
nicht gestorben sind“ – aber weil diese Geschichte ja kein Märchen
ist, da gibt es die kandierten Früchte tatsächlich bis heute.
Auf keinem der Beijinger Jahrmärkte zum Frühlingsfest darf
Bingtanghulu fehlen. Die Standbesitzer zerbrechen sich die Köpfe,
wie sie ihre Bingtanghulu-Stände besonders augenfällig dekorieren
können. Sie stecken die einzelnen Bingtanghulu-Spieße auf einen
Holzstock, an der Spitze flattern dann normalerweise einige bunte
Fähnchen. Die feuerroten Früchte, umhüllt von Kandiszucker, glänzen
in der Wintersonne. Und der ganze Stock mit einigen Dutzend Spießen
dran sieht aus wie ein glänzendes rotes Bäumchen.
Wer einen Jahrmarkt zum Frühlingsfest besucht, wird einfach
unbedingt ein paar Bingtanghulu-Spieße kaufen. Die süßsaure
Nascherei gehört zum unentbehrlichen Ritual des chinesischen
Neujahrs.
Ja, und falls Sie einmal zum Frühlingsfest unterwegs in China sein
sollten und dann auch auf einen Jahrmarkt kommen, dann müssen die
süß-sauren Bingtanghulu probieren. Nicht nur des Geschmacks oder
des Rituals wegen, nein, aber vielleicht könnte Ihnen das ja auch
Glück bringen. Oder haben Sie die Geschichte von der rmen Kaiserin
schon vergessen?....