Schaut man von einem Raumschiff zur
Erde, so kann man unter den von Menschen geschaffenen Bauwerken mit
bloßem Auge die Große Mauer Chinas erkennen. Mit einer Länge von
einem Sechstel des Äquators windet sie sich auf und ab über die
Bergketten Nordchinas. Dieses imposante Bauwerk nahm seine Anfänge
in der Frühlings- und Herbstperiode und in der Zeit der Streitenden
Reiche (um das 7. Jh. V. Chr.), als China in zahlreiche Staaten
zersplittert war. Zum Schutz gegen feindliche Angriffe errichtete
jeder Staat an seinen Grenzen hohe Mauern. Um das vierte
Jahrhundert v. Chr. bauten die nördlichen Staaten Yan, Zhao und Qin
Verteidigungsanlagen an ihrer Nordgrenze, um die nomadischen Stämme
jenseits davon in Schach zu halten. Diese über tausend Kilometer
langen Mauern waren jedoch noch nicht miteinander verbunden. Als
Ying Zheng, der erste Kaiser der Qin-Dynastie, China im Jahre 221
v. Chr. vereinigte, befahl er die Reparatur und Verlängerung der
Mauern, bis sie miteinader verbunden waren. Damals erstreckte sich
die Mauer über 5000 Kilometer von Lintong im Westen bis Liaoning im
Osten. Als Große Mauer der Qin bekannt ist, gilt sie als eines der
architektonischen Wunder der Antike.
In den folgenden Dynastien wurde die
Große Mauer mehrmals ausgebessert und erweitert. In der
Han-Dynastie erstreckte sie sich über mehr als 10 000 Kilometer. In
der Ming-Dynastie betrug die Länge nur 6350 Kilometer vom Yalu-Fluß
im Osten bis zum Jiayu-Paß im Westen, doch wurde besonderer Wert
auf den Ausbau der Verteidigungsanlagen gelegt. Mit Ausnahme des
schwer beschädigten Abschnitts vom Yalu-Fluß bis zum Shanhai-Paß
hat sich die Große Mauer der Ming, dieses gewaltige Bollwerk in der
chinesischen Geschichte, im großen und ganzen bis heute erhalten.
Was wir heute sehen, ist der Teil, der sich vom Shanhai-Paß nahe
der Bohai-Bucht im Osten bis zum Jiayu-Paß in der Provinz Gansu im
Westen erstreckte.
Die Große Mauer wurde immer als ein
integriertes Verteidigungssytem betrachtet. In den Dynastien Qin
und Han bot die Mauer mit ihren Festungen und Wachttürmen Schutz
vor den Nomadenstämmen. In der Ming-Zeit wurden an wichtigen
Stellen entlang der Mauer Ortschaften gegründet. Die
Verteidigungsangelegenheiten unterstanden besonderen
Kommandanturen. An strategischen Punkten und Pässen wie Shanhai,
Juyong, Yanmen, Niangzi und Jiayu wurden Festungen gebaut. Die
Hauptabschnitte der Großen Mauer sind sieben bis acht Meter hoch,
am Fuß 6,5 Meter breit und an den Zinnen 5,8 Meter. An der Südseite
führten Türen und Treppen nach oben. Etwa zwei Meter hohe
Brustwehren oder Zinnen bildeten den Abschluß der Mauer auf der
Außenseite, die Brüstung der Innenseite war 1 Meter hoch. Die in
100 Meter Abstand gebauten Wachttürme dienten als Quartiere,
Waffen- und Munitionslager. Die Alarmfeuertürme standen meist auf
Gipfeln. Kam es zu einem feindlichen Angriff, so wurden auf diesen
Türmen Rauchzeichen (bei Tage) oder Warnfeuer (nachts) angezündet.
Auf diese Weise konnte eine militärische Nachricht von Turm zu Turm
bis zur Hauptstadt weitergeleitet werden.
Über zwei Jahrtausende hinweg war
die Große Mauer von großer Wichtigkeit für den Schutz der
Nordgrenze, die Förderung der Landurbarmachung und die Sicherung
des Handels. Die Errichtung dieses monumentalen Bauwerks kostete
das chinesische Volk jedoch unsägliche Mühen und viele
Menschenleben. Heute ist die Große Mauer eine historische
Sehenswürdigkeit für viele in- und ausländische Touristen und ein
Zeugnis antiker chinesischer Baukunst. Seit 1961 steht die Große
Mauer unter Denkmalschutz. Der Mauerabschnitt bei Badaling, der
Shanhai- und der Jiayu-Paß wurden mehrmals renoviert. Im Jahre 1987
wurde die Große Mauer von der UNESCO in die "Liste des Weltkultur-
und-naturerbes" aufgenommen.