Von Atze Schmidt
Als im November 1988 der damalige deutsche Außenminister Genscher der neuen Zweigstelle Peking des Goethe-Instituts den Segen der Bundesregierung erteilte, äußerte er sich erfreut über die "Gemütlichkeit", die das angemietete Gebäude ausstrahle. Das Haus stand auf dem Campus der Beijinger Fremdsprachen-Universität im Nordwesten der Stadt, und 15 Jahre lang hatten die Mitarbeiter, Studenten und Besucher Gelegenheit, die dort herrschende Atmosphäre zu genießen, sich aber auch über Unzulänglichkeiten des Gebäudes zu ärgern. Nun ist das Haus, das für Tausende von chinesischen Studenten zur "Deutschen Quelle" geworden war, wie es einer von ihnen mal formuliert hat, abgerissen. Es machte einem Studentenwohnheim Platz, und das Goethe-Institut Peking erfüllte sich im 15. Jahr seines Bestehens einen lang gehegten Wunsch und zog um in ein repräsentativeres Domizil. Hoch vom "Cyber Tower" blickt es nun vom 17. Stock auf die Stadt, die sich seit der Eröffnung des Instituts 1988 so sehr verändert hat.
Nicht geändert haben sich in dieser Zeit die Ziele des Goethe-Instituts. Es sind zwei wesentliche kulturpolitische Aufgaben, die das von München aus gesteuerte, weltweit tätige Institut mit seinen derzeit 125 Zweigstellen in 76 Ländern wahrnimmt: die Förderung der internationalen kulturellen Zusammenarbeit und die Pflege der deutschen Sprache im Ausland.
"Auswärtige Kulturpolitik ist neben den politischen Beziehungen und der Außenwirtschaft die dritte Dimension der deutschen Außenpolitik", so steht es im Grundsatzprogramm des Goethe-Instituts.
Schon lange vor der Gründung der Zweigstelle Peking hatten Dozenten aus Deutschland an Universitäten in Beijing und Shanghai unterrichtet. Die Zusammenarbeit Chinas mit dem Goethe-Institut begann dann 1977, und auf Wunsch der chinesischen Regierung entsandte das Institut fortan Jahr für Jahr Expertenteams, die Fortbildungskurse für chinesische Universitätsdozenten und Deutschlehrer durchführten. Diese Kontakte schufen schließlich die Basis dafür, dass eine ständige Präsenz des Instituts in der Hauptstadt vereinbart wurde.
Heute unterhält das Goethe-Institut Peking rege Kontakte zu Deutschabteilungen von 80 chinesischen Universitäten, die entweder Germanistik als Studienfach oder Deutsch als zweite Fremdsprache anbieten. Das geht über die Weitergabe von Informationen zum Thema Deutsch lehren und lernen weit hinaus. So werden die Universitäten auch in Fortbildungsreihen und Veranstaltungen des Instituts eingebunden. Dr. Ulrich Nowak, der Leiter der Zweigstelle Peking, fasste es gegenüber China Heute so zusammen: "Durch die jahrelange enge Zusammenarbeit mit chinesischen Deutschdozenten ist es dem Goethe-Institut gelungen, ein Netzwerk von Multiplikatoren aufzubauen, die langfristig in der Weiterbildung chinesischer Deutschlehrer eingesetzt werden sollen. Um Kontakte zu weiteren Universitäten bemühen wir uns." Diese "Pädagogische Verbindungsarbeit" genannte Tätigkeit des Instituts ist einer seiner Schwerpunkte.
Auf fruchtbare Jahre kann auch die Sprachkursabteilung zurückblicken. Der Zulauf zu den Deutschkursen war von Anfang an so stark, dass bei weitem nicht alle Interessenten aufgenommen werden konnten. Die meisten der Kursteilnehmer sind Studenten, die sich auf ein Studium in Deutschland vorbereiten. Dem trug die Sprachabteilung durch jüngste Umstrukturierungen Rechnung. So wurden die Kurszeiten, die sich früher an den Semestern der Universitäten orientierten, auf einen Zweimonats-Rhythmus umgestellt. Dadurch erhöhen sich die Chancen, in einen Sprachkurs aufgenommen zu werden, und entsprechend stieg die Zahl der Kursteilnehmer von vorher 400 bis 550 im Jahr auf zuletzt 1.350 (im Jahr 2003). Neben den Intensivkursen, deren Teilnehmer in der Regel ein Studium in Deutschland planen, werden noch Abend- und Samstagkurse angeboten.
Viel besucht von deutschlernenden Chinesen, aber auch von Wissenschaftlern, Übersetzern und Leuten aus dem Verlagswesen wird die Bibliothek des Goethe-Instituts Peking, eine Spezialbibliothek rund um Deutschland mit ca. 9.000 Büchern, 70 Zeitungen und Zeitschriften und über 1.600 audio-visuellen Medien. Benutzer der Bibliothek haben für sie den Namen "Fenster des Goethe-Instituts" (Gedexueyuan de Chuanghu) geprägt. Dieses Fenster steht für den Blick nach Deutschland jedermann weit offen – kostenlos. Im Jahr 2002 wurden rund 23.000 Entleihungen vorgenommen, und es gab 4.600 Anfragen zu den unterschiedlichsten Themen und Problemen.
"Das Goethe-Institut", schrieb China Heute anlässlich des zehnjährigen Bestehens vor fünf Jahren, "hat sich den zunehmenden Herausforderungen stets gestellt." Inzwischen sind die Anforderungen weiter gewachsen, doch das Team hat bisher nicht erkennen lassen, dass es vor den umfangreicher gewordenen Aufgaben kapituliert, im Gegenteil: "Um die Reichweite unserer Aktivitäten zu erhöhen, werden in verschiedenen Städten Chinas Lern- und Informationszentren eingerichtet. Dort können Materialien über die deutsche Sprache, Landeskunde und Kultur eingesehen und ausgeliehen werden, und man erhält Beratung und Serviceleistungen zu allen deutschlandbezogenen Fragen."
Gemeinsam mit chinesischen Partnerinstitutionen hat das Goethe-Institut im Lauf der Jahre ferner eine Vielzahl kultureller Veranstaltungen organisiert, darunter die Internationalen Beijinger Jazz-Festivals, Theater-Aufführungen, Kunstausstellungen und Künstlerseminare, ein Brecht-Symposium, ein Kafka-Seminar, im Bereich Film eine Fassbinder- und eine Herzog-Retrospektive sowie eine Stummfilm-Woche, außerdem Vortragsreihen und Seminare zu gesellschaftswissenschaftlichen Themen wie "Soziale und sozialistische Marktwirtschaft", "Schulverwaltung und Hochschulgesetzgebung", "Regional- und Stadtplanung" und "Geschichte der Frauenforschung". Hinzu kamen Workshops zu Musik, Tanz, Theater und Design, Kinderbuchseminare, Fotoausstellungen und vieles mehr. Eine Bilanz, die sich sehen lassen kann.
Zu den jüngsten Aktivitäten im Rahmen der Kulturprogramme zählen Ausstellungen, Vorträge und ein Online-Informationsdienst zum Thema "Architektur und Stadtentwicklung" sowie die Präsentation "Deutsches Gegenwartstheater in chinesischer Inszenierung" (erstmals in China!) in Zusammenarbeit mit dem Volkstheater der Hauptstadt.
Johann Wolfgang von Goethe ("Wer immer strebend sich bemüht...") müsste eigentlich mit den "Pekinger Statthaltern" des nach ihm benannten Instituts sehr zufrieden sein.
(China Heute/China.org.cn, 13. Februar 2004)