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Gerichte der Familie Tan

Nicht nur in der chinesischen Hauptstadt Beijing, sondern auch landesweit und sogar in aller Welt sind die Gerichte der Familie Tan berühmt. Schließlich handelte es sich bei dieser Familie um eine – sagen wir – Feinschmecker-Dynastie. Und deren Lieblingsgerichte werden nun heutzutage im Beijing-Hotel serviert.

Bevor ich Ihnen nun genauer sage, was es mit der Gourmet-Familie Tan auf sich hat, muss ich noch etwas voraus schicken. Sie wissen sicher, dass es hier in China unterschiedliche regionale Küchen gibt, die aber im Laufe der Zeit zum Teil weit über die ursprüngliche Region hinaus zu Berühmtheit gelangt sind.

Beispielsweise kennen Sie ja die Shandong-Küche, die wir auf unserer Reise durch die ostchinesische Küstenprovinz Shandong ausführlich vorgestellt haben.

Und sicher kennen Sie auch die Küche aus Sichuan, die speziell für ihren scfharfen Geschmack weit über Sichuan hinaus bekannt ist ....

Und sicherlich haben Sie auch nicht vergessen, dass wir uns auf einer kulinarischen Reise in der nordchinesischen Provinz Shanxi ausgiebig den dortigen Nudel- und Teiggerichten gewidmet haben....

So, und bei allen Unterschieden haben diese verschiedenen Küchen ja eine Gemeinsamkeit: Sie stehen nämlich logischerweise in engem Zusammenhang mit den Sitten und Gebräuchen sowie den geographischen und klimatischen Gegebenheiten der jeweiligen Region. Daher gelten sie denn auch für manche Feinschmecker weiterhin als eher regionale Küchen, obwohl sie längst landesweit bekannt und beliebt sind und sich – wenn man so will – die gesamtnationalen oder sogar internationalen Geschmacksnerven erobert haben.

Ja, und damit kommen wir nun langsam zur Familie Tan. Das waren ausgemachte Feinschmecker, soviel hatten wir ja schon verraten. Der Küchenzettel der einst in Beijing ansässigen Familie Tan lässt sich nun keiner bestimmten Region des Landes zuordnen. Am ehesten könnte man noch von einer Kombination der Kochkunst aus dem nördlichen Beijing und dem südlichen Guangdong reden.

Hinzu kommt außerdem, dass die Küche der Familie Tan keinesfalls eine so lange Geschichte hat, wie etwa die regionale Küche der Provinz Shandong. Die Familien-Saga der Gourmets namens Tan reicht nämlich gerade mal ein Jahrhundert zurück.

So, und mit all diesen Vorkenntnissen ausgerüstet können wir uns nun auf unsere kulinarische und Zeitreise begeben.

In den letzten Jahren der Qing-Dynastie, die bis 1911 herrschte, lebte in Beijing ein hoher Beamter des kaiserlichen Hofes namens Tan Zongjun. Er und sein Sohn Tan Zhuanqing waren nicht nur kaiserliche Hofschranzen, sie waren vor allem Feinschmecker. Beide widmeten sich dem Rezepte-Sammeln und vor allem widmeten sie sich ausgiebigen Studien der Kochkunst, indem sie deren Ergebnisse verinnerlichten.

Dass die beiden für Leckerbissen nicht nur schwärmten, sondern dass diese sozusagen ihren Lebensinhalt bildeten, war in der Oberschicht allgemein bekannt. Dazu weiß nun LI ZHIGANG, der der Chefkoch des Restaurants der Familie Tan im Beijing Hotel, eine Anekdote:

„Der Beamte Tan Zongjun war ein hochkarätiger Feinschmecker. Das war in der Oberschicht in der damaligen Reichshauptstadt allen bekannt. Er verschrieb sich ohne jede Übertreibung voll und ganz den Studien der Kochkunst in China, weit mehr jedenfalls als seinen Dienstpflichten. Mit dem Sturz der Qing-Monarchie war es nun auch mit dem Glanz der Familie Tan nicht mehr weit her. Aber der nunmehr arbeitslose Hofschranze Tan wollte – oder konnte vielleicht - seine Sucht nach Leckerbissen nicht aufgeben.“

Ja, und bevor wir nun der Frage nachgehen, wie denn die Herren Tan Senior und Junior weiterhin ihrer Fresslust frönen konnten, gilt es eine weitere Frage zu beantworten. Sie werden sich vielleicht wundern, wie die Herren Tan zu ihrer einzigartigen Rezeptsammlung kamen. Schließlich hatten sie tatsächlich in mehreren Jahrzehnen die allerwichtigsten und vor allem raffiniertesten Kochrezepte und Zubereitungsmethoden gesammelt. Und dabei gab es einen Trick, den uns LI ZHIGANG erläutert:

„Die Familie Tan pflegte für ihre Leidenschaft gut zu zahlen, und so kam es, dass im Laufe der Jahre die bekanntesten Meisterköche aus dem ganzen Land bei der Familie Tan kochten. Jedenfalls so lange, bis die Familie Tan die Geheimnisse und die Kniffe und Tricks der jeweiligen Gerichte herausgefunden hatte – dann wurde der Meisterkoch gefeuert, und der nächste trat seinen Dienst an im Hause Tan. So eignete sich diese Familie fast alle raffiniertesten Rezepte und Zubereitungsmethoden der damaligen Zeit an.“

Ja, und eine ganz wichtige Rolle im Prozess dieser kulinarischen Industriespionage spielte nun die Ehefrau des kaiserlichen Hofbeamten, Zhao Lifeng. Für ihren Einsatz war sie bestens gerüstet, denn sie war selbst eine talentierte Köchin. Also stand sie jeden Tag lange Zeit in der Küche und schaute den Meisterköchen ganz genau zu, wenn die ihre Gerichte zubereiteten. So brachte es die Frau Hofbeamtin im Verlauf der Jahre zu wahrer kochkünstlerischer Meisterschaft.

Aber die Familie Tan hat sich nicht nur die Rezepte und Zubereitungsmethoden der besten Meisterköche des Landes angeeignet. Darüber hinaus entstanden auf dieser Basis neue Rezepte als Eigenkreationen. Damit entstand allmählich eine ganz eigenständige Kochkunst, die sich keiner der zahlreichen typischen regionalen Küchen des Landes direkt zuordnen lässt.

Die festlichen Tafelrunden der Familie Tan waren höchst prunkvoll. Klar, Tan Zongjun und sein Sohn wollten mit ihrer Großzügigkeit und Gastfreundlichkeit protzen. Dabei überstiegen die Prachtbankette, mit denen Tan seine Gäste bewirtete, sämtliche normalen Vorstellungen.

LI ZHIGANG versucht, uns ein Bild zu geben:

„Schon ein eher durchschnittliches Bankett der Familie Tan war furchtbar teuer. Normale Bürger konnten sich jedenfalls so etwas keinesfalls leisten. Das Gedeck für einen Tisch kostete damals 20 Silber-Tael. Sehen Sie, das waren einfach astronomische Summen für einfache Leute.“

Richtig, denn ein Silber-Tael hatte den Wert von 37 Gramm reinem Silber, und für 20 Tael hätte man zu jener Zeit gut 10 Tonnen Reis kaufen können. Gewöhnliche Sterbliche jedenfalls hätten für eine derartige Summe mehrere Jahre arbeiten müssen. Teure Gaumenfreuden also bei den Tans...

Mit dem Untergang der Monarchie 1911 versank dann auch die Familie der höfischen Gourmets in Bedeutungslosigkeit , die kostbaren Rezepte und die raffinierten Zubereitungsmethoden der Familie Tan überdauerten die Zeiten.

Schon in den Jahren vor 1949 gab es an der zentralen Xidan-Strasse in Beijing ein Restaurant, das die Gerichte der Familie Tan servierte. 1958 wurde dieses Restaurant dann auf Vorschlag des damaligen Ministerpräsidenten Zhou Enlai in das Vorzeige-Hotel Beijing, östlich zwischen verbotener Stadt und Wangfujing-Strasse gelegen, eingegliedert. Die Gerichte der Familie Tan sind heute ein Exklusivgeschäft des Beijing-Hotels.

Und was hat die Gerichte nun so exorbitant teuer gemacht? Nun, zum einen die höchst erlesenen Zutaten: Haifischflossen, Pökelfische, Seegurken, Kamelhöcker und Bärentatzen kamen vor einem Jahrhundert bei der Familie Tan auf den Tisch. Dabei setzte Tan Zongjun noch einen drauf – bei den Bärentatzen durften es nicht etwa irgendwelche sein – nur die linke Vordertatze eines Bären durfte im Hause Tan zubereitet und dann serviert werden.

Hier zeigt sich schon, dass den Gerichten der Familie Tan in den heutigen Zeiten des Tier- und Artenschutzes gewisse Grenzen gesetzt sind. Im Tan-Restaurant des Beijing-Hotels kommen also keine Haifischflossen, Kamelhöcker oder Bärentatzen auf den Tisch. Beibehalten wurde allerdings das Prinzip der Familie Tan, Delikatessen so fein wie nur möglich zuzubereiten.

Chefkoch LI ZHIGANG erläutert uns, was nun die Gerichte der Familie Tan so einzigartig macht:

„Die Köche des Restaurants der Familie Tan scheuen natürlich weder Kosten, noch Mühe, die allerfeinsten Zutaten auszuwählen. Schließlich weiß man ja zum Beispiel, dass eine fein gekochte Suppe bei einem guten Essen einfach unentbehrlich ist. Und ein versierter und erfahrener Koch weiß dann natürlich ganz genau, wie er mit einer prima Suppe ein feines Aroma und einen ausgezeichneten Geschmack zaubern kann.“

Wie uns der erfahrene Chefkoch sagte, sind im Tan-Restaurant der übermäßige Einsatz von Peperoni oder Sternanis oder gar Geschmacksverstärkern wie Glutamat absolut tabu, und das von Anbeginn an.

Gefragt ist das eigentliche Aroma der feinen Speisen, das Originalaroma der erlesenen Zutaten ist das Wichtigste.

Da die Gerichte der Familie Tan so fein wie nur möglich zuzubereiten sind, werden sie oft als „Kongfu-Gerichte“ bezeichnet. Diese Bezeichnung bezieht auf die präzise und strikte Einhaltung der Zubereitungsregeln.

Dazu noch einmal LI ZHIGANG

„Die Gerichte der Familie Tan nennt man auch Kongfu-Gerichte. Denn bei uns werden das Kochen durch milde Hitze und eine lange Vorbereitungszeit großgeschrieben. Ein Koch muss viel Geduld haben, bis sich das Aroma unserer Zutaten wie Hühner, Enten oder Schinken und so weiter voll entfaltet.“

Daher kommen die Gerichte der Familie Tan besonders auch bei älteren Menschen gut an, denn sie werden durch das allmähliche und milde Kochen sanft, zart und leicht verdaulich. Gleichzeitig ist der Originalgeschmack der Zutaten nicht im Geringsten verkocht oder sonst wie verloren gegangen oder durch übermäßigen Gewürzeinsatz überlagert.

Wie fast alle chinesischen Regionalküchen achtet die Kochkunst der Familie Tan sehr auf das Gleichgewicht verschiedener Nährstoffe. Hier spielen vegetarische Gerichte eine wichtige Rolle. Die Köche im Restaurant der Familie Tan haben zudem noch die zauberhafte Kraft, die Gerichte auch optisch verführerisch zuzubereiten. Als Beispiel nennt uns Chefkoch LI ZHIGANG Silbermorcheln, ein beliebtes vegetarisches Gericht des Restaurants: Weiße Silbermorcheln, rote Möhren, grüne Bambussprossen sowie schwarze Pilze. Diese Kombination ist nicht nur nahrhaft, sondern lässt das Gericht auch noch höchst verführerisch aussehen. Schließlich, so der Chefkoch, soll ein Gericht optisch und geschmacklich dem Kunden gefallen. Oer anders gesagt - das Auge isst mit:

„Die Esskultur spielt in China allgemein eine wichtige Rolle. Einem Koch ist es dann gelungen, ein gutes Gericht zuzubereiten, wenn es gut aussieht, gut riecht und natürlich gut schmeckt.“

Das Ganze klingt ja wirklich verführerisch. Wenn Sie also einmal hie in Beijing sind, dann sollten Sie sich einen Tisch im Restaurant der Familie Tan im Beijing-Hotel reservieren lassen.

Das Restaurant der Familie Tan finden Sie – wie gesagt - im Beijing Hotel am Chang’an-Boulervard östlich des Tiananmen-Platzes.