Seit alters her haben es die chinesischen Volkskünstler vermocht, mit natürlichen und einfachen Rohstoffen hochfeine Kunstwerke zu schaffen. Seit der Ming- und Qing-Zeit (14.-20.Jh.) erfreuen sich auch die farbigen Tonfiguren in der Bevölkerung einer großen Beliebtheit. Im folgenden Beitrag stellt Ihnen nun mein Kollege Lu Tong diese traditionelle chinesische Volkskunst vor.
Eine Tonfigur besteht aus reiner Tonerde, mit einem ganz geringen Sandgehalt und nahezu frei von Verunreinigungen. Die Tonerde ist die Grundmasse, aus der die Kunsthandwerker die Figuren formen. Dabei lassen sie die Tonerde zunächst an der Luft trocknen. Danach wird sie gefiltert und mit einer geringen Menge an Baumwollfasern versetzt. Schließlich wird die Tonerde noch mehrmals durchgeknetet und ist dann fertig für die Verarbeitung.
Der Künstler fertigt dabei zuerst einen Rohentwurf an. Dann werden die einzelnen Teile der Figur geformt. Anschließend wird die ganze Figur zusammengesetzt und modelliert, bis der Künstler damit zufrieden ist.
Die Zeit, die ein Künstler für eine Figur braucht, ist sehr unterschiedlich, es kann einen Monat dauern oder nur ganze 10 Tage. Nach der Modellierung wird das Kunstwerk in einem Ofen bei etwa 700 Grad gebrannt. Nach drei bis vier Tagen wird die Figur einer Endbearbeitung unterzogen und poliert. Anders als bei einer Porzellanfigur, die zuerst bemalt und dann gebrannt wird, bekommt die Tonfigur ihre Farbe erst am Schluss.
Also, es steckt viel Kreativität und handwerkliches Geschick hinter der Herstellung einer Tonfigur.
Die berühmtesten Tonfiguren Chinas stammen aus der Werkstatt der Familie Zhang aus der nordchinesischen Großstadt Tianjin und aus Huishan nahe der Stadt Wuxi in der ostchinesischen Provinz Jiangsu.
Die Kunst der Tonfiguren von Huishan hat eine Tradition von mehr als 500 Jahren. Anfangs war die Herstellung kleiner Tonfiguren für die Bauern in Huishan ein häusliches Nebengewerbe. In den späten Jahren der Qin-Dynastie wurden die Tonfiguren auch als Geschenke für den Kaiserhof gefertigt.
Der Berg Huishan liegt im Westen der Stadt Wuxi. Am Fuß des Huishan findet man einen speziellen Lehm. Der zeichnet sich hier vor allem dadurch aus, dass er nach dem Trocknen keine Risse bekommt. Aus dieser unansehnlichen Rohmasse entstehen durch Schlagen, Kneten, Formen und Färben lebendige Tonfiguren. Man kann die Geschicklichkeit der Kunsthandwerker nur bewundern, denn sie benutzen zum Formen des Lehms außer ihren Händen lediglich einfache Werkzeuge wie Stahl-, Bambus- und Büffelhornmesser für die Feinarbeiten. Die fertigen Figuren müssen nicht gebrannt werden, man lässt sie einfach einige Tage im Schatten trocknen. Wenn man sie sorgsam aufbewahrt und nicht fallen läßt, halten sie sich viele Jahre.
Die Tonfiguren von Huishan haben sich im Laufe der Zeit weit verbreitet. Vorbilder für die Figuren waren Gestalten aus Volkssagen und Legenden wie die langlebigen Alten mit Pfirsichkopf und weißen Haaren, Blumen streuende Feen, imposante Generäle und lustige Kinder.
Außerdem wurden in den Tonfiguren von Huishan auch Personen und Tierfiguren aus Opernwerken, Mythen oder buddhistischen Werken verewigt.
„Da A Fu“ bedeutet auf Deutsch glücklicher Dicker und ist eine der bekanntesten Werke der Tonfiguren von Huishan. Sie ist bei der Bevölkerung besonders beliebt, weil sie ein Symbol für Glück ist. Der Glückliche Dicke sieht gemütlich aus, wobei sein Kopf die Hälfte des ganzen Tonfigürchens ausmacht. Er trägt ein Brokatkleid, das mit einem Muster aus rosa Pflaumenblüten verziert ist und fünfmal das chinesische Schriftzeichen „Fu“, für Glück, aufweist, Die fünf „Fu “symbolisieren also das fünffache Glück – nämlich Langlebigkeit, Reichtum, Ruhe und Frieden, Tugend und Gesundheit. In den Händen hält der Dicke einen Löwen mit goldenen Haaren.
In den ersten Jahren der Qing-Dynastie (1644-1911) sind am Huishan mehrere Werkstätten entstanden, die saisonal Tonfigürchen anfertigten. In der Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelten sie sich zu größeren Manufakturen. Diese stellten dann ausschließlich Tonfigürchen her. Ende der Qing-Zeit hatten sich an der Huishan-Straße über 40 Manufakturen auf die Herstellung von Tonfiguren spezialisiert. ]In den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde ein Forschungsinstitut gegründet, das die Kunst der Huishan-Tonfiguren weiter entwickeln sollte. Nach der Gründung der Huishaner Tonfigurenfabrik machte sich eine ganze Anzahl von Volkskünstlern mit ihren Figuren einen großen Namen.
Die Tonfiguren aus Tianjin waren schon in der Spätzeit der Qing-Dynastie, also etwa Mitte des 18. Jahrhunderts, vor allem in Nordchina sehr verbreitet. In der nordchinesischen Stadt Tianjin hat sich die Familie Zhang einen großen Namen gemacht. Ein früher Vorfahre war Zhang Changlin, der von 1826 bis 1906 in Tianjin lebte. Von klein auf lernte er von seinem Vater das Töpferhandwerk und das Formen von Tonfiguren. Als er 18 Jahre wurde, waren seine Werke unter der Bevölkerung bereits sehr beliebt. Die „Tonfiguren von Zhang“ wurden ein bekanntes Markenzeichen. Die Kunstfertigkeit von Zhang Changlin hat sich von Generation zu Generation weiter überliefert und lebt nun bereits in der 5. Generation fort. Heute ist der Name „Zhang“ aus der chinesischen Töpfer- und Tonfiguren-Kunst nicht mehr wegzudenken. 1958 wurde das Atelier der „Zhang Tonfiguren“ mit staatlicher Unterstützung in Tianjin gegründet.
Stilistische Unterschiede zwischen den beiden großen Richtungen der chinesischen Tonfigurkunst weiß Fu Changsheng, Direktor des Ateliers der „Tonfiguren von Zhang“ in Tianjin, zu erklären:
„Die Tonfiguren von Zhang aus Tianjin sind realistischer in der Körperhaltung sowie in der Struktur der Figur und in der Farbgebung. Im Unterschied dazu sind die Tonfiguren von Huishan stark übertrieben und recht bunt gestaltet. „
Nicht nur die Chinesen, sondern auch immer mehr Ausländer lernen den Wert dieser Volkskunst zu schätzen. Heute sind die Tonfiguren in vielen Ländern und Gebieten gefragt. Ausländische Touristen kaufen bei ihren China-Reisen die Tonfigürchen gern als kunstgewerbliches Souvenir, weil sie das exotische Flair der Volkskunst aus dem Ostasien widerspiegeln.