In den letzten Jahren haben chinesische Archäologen in einigen antiken Gräbern zahlreiche Schreibtäfelchen aus Bambus oder Holz entdeckt. Die Jahrtausende lang unter der Erde verborgenen Kulturgegenstände wurden als die sogenannten „unterirdischen antiken Bücher“ bekannt.
Die Inschriften gelten auf den berühmten Orakelknochen aus der Shang-Dynastie vor mehr als 3000 Jahren als die älteste Schrift Chinas. Die Entwicklung der Schriftzeichen befand sich damals noch in der Anfangsphase: noch gab es nur wenige Zeichen und ihre Bedeutung im Alltag war gering. Mit der Entwicklung der Zivilisation in den folgenden 2000 Jahren hat sich die Anzahl der Schriftzeichen und der Umfang der Aufzeichnungen enorm vergrößert. Damit wuchs auch der Bedarf nach Aufzeichnungen und Niederschriften. Im 1. Jahrhundert, als das Papier noch lange nicht erfunden war, wurden Bambus-bzw. Holztäfelchen für Aufzeichnungen genutzt.
Doch die Bambus- und Holztäfelchen sind leicht verderblich. Und deshalb rechneten die Archäologen lange Zeit nicht damit, derartige Aufzeichnungen bei Ausgrabungen zu finden. In den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts jedoch wurden in den trockenen Gebieten Nordwestchinas wie Xinjiiang und Gansu weit verstreut vergrabene Bambus- und Holzschreibtäfelchen entdeckt. Auf den Täfelchen waren nicht viele Wörter niedergeschrieben, trotzdem hatte der Fund der Täfelchen damals ein sensationelles Echo in den Fachbereichen hervorgerufen.
Seit den 70er Jahren wurden große Mengen weiterer Bambus- und Holztäfelchen mit Inschriften entdeckt. Im Jahr 1975 haben Archäologen in einem antiken Grab in der zentralchinesischen Provinz Hubei rund eintausend Bambustäfelchen gefunden. Auf ihnen waren Gesetze der Qin-Dynastie festgeschrieben worden. Der Fund war ein spektakuläres Ereignis, das in der ganzen Welt für Aufsehen sorgte.
Die Qin-Dynastie zwischen 221 und 207 vor unserer Zeitrechnung war die erste feudale Dynastie in der chinesischen Geschichte. Überlieferte Aufzeichnungen aus dieser Zeit sind äußerst selten. Deshalb waren die Schreibtäfelchen für die Erforschung der frühen chinesischen Geschichte, insbesondere für die Erforschung der Gesetze der Qin-Dynastie von großer Bedeutung.
Die später ausgegrabenen Bambus- und Holzschreibtäfelchen sind ebenfalls von hohem Wert für die Forschung.
Im Oktober 1996 wurden in Changsha, der Hauptstadt der Provinz Hunan, 140 000 Schreibtäfelchen aus der Zeit von Ende der Han-Dynastie bis zur Zeit der Drei Reiche zwischen den Jahren 190 und 280 ausgegraben. Das waren mehr als die gesamten bisher ausgegrabenen Schreibtäfelchen in den Jahren zuvor. Schnell war klar, dass damit weitere wichtige antike chinesische Geschichtsdokumente entdeckt wurden. Die Täfelchen waren inhaltlich sehr aussagekräftig. Die Inschriften auf den Täfelchen erzählten von der Gesellschaft, der Wirtschaft sowie den Rechts- und Steuersystemen und ergänzten die wenigen Berichte über die Ereignisse in der Zeit der Drei Reiche.
Im Juni 2002 wurden in der Gemeinde Liye in der Provinz Hunan in der Ruine einer alten Stadt aus der Zeit der Streitenden Reiche zwischen 770 und 256 v. u. Zeitrechnung über 20 000 Bambus- und Holzschreibtäfelchen gefunden. Darauf waren Hunderttausende Wörter in Siegelschrift und in der Schrift des damaligen Reiches Chu verewigt. Weil diese Schreibtäfelchen 500 bis 600 Jahre älter als die zuvor in Changsha entdeckten Schreibtäfelchen waren, erregten sie ein ebenso hohes Aufsehen wie die Entdeckung der Orakelknocheninschriften. Forscher priesen den Fund als das wichtigste archäologische Ereignis seit Beginn des 21. Jahrhunderts.
Auch die Schreibtäfelchen aus Liye geben umfangreiche Informationen preis. Die Inhalte der Schriften betreffen die Bereiche Politik, Militär, Wirtschaft, Jura, Kultur, Administration, Post und Geographie. Dabei sind sie nicht nur von hohem wissenschaftlichen und historischen, sondern auch von hohem künstlerischen Wert.
Historiker meinen, dass die ausgegrabenen Schreibtäfelchen die bisherigen Dokumente über die chinesische Geschichte in großem Masse umschreiben oder bereichern müssen. Auch ganz sicher werden sie die bisherigen Erkenntnisse über die frühe Phase der chinesischen Geschichte grundlegend beeinflussen.
