Die Fingerfertigkeit des Scherenschnitts ist im ganzen Land verbreitet. In Nordchina, besonders im Norden der Provinz Shaanxi, hängen in den bäuerlichen Wohnhäusern Scherenschnitte in allen Fenstern. Es ist eine Tatsache, daß auch heute noch in ländlichen, rückständigen Gegenden Chinas die Frauen von klein auf mit der Technik des Webens, Spinnens, Zuschneidens und Nähens vertraut gemacht werden. Somit wird ihr Alltagsleben von dem Rüstzeug Schere und Papier beherrscht. Eine Volksweisheit behauptet: „Erst durch die Begutachtung eines von einer Frau hergestellten Scherenschnittes kann mit Sicherheit gesagt werden, ob sie fingerfertig ist oder nicht.“ Kein Wunder, daß viele Bäuerinnen auch heute noch großen Wert auf die Verbesserung ihrer Scherenschnitt-Technik legen, wenn ihr Ruf im Dorf davon abhängt.
Die 80jährige Ku Shulan ist eine einfache Bäuerin auf dem Löß-Plateau in der Provinz Shaanxi. Ihre Höhle sieht dank ihrer Scherenschnitte wie ein Palast aus. In der Mitte einer Wand hängt ein Bild mit dem Namen „Scherenschnitt-Frau“. Mit Stolz sagt sie den Besuchern: „Ich bin diese Frau.“ Um das Licht in der Dunkelheit dieser Höhle zu symbolisieren, hat sie dem Frauenmotiv eine große Lampe und die Sonne aus Papier zur Seite gestellt. Obwohl sie immer ein sehr bescheidenes und armes Leben geführt hat, wurde es dank ihrer Kunstfertigkeit wertvoller.
Su Lanhua lernte im Alter von vier Jahren die Scherenschnitt-Technik. Bereits im Alter von 13 Jahren war sie in ihrer Heimat als wahre Meisterin bekannt. Heute mit 85 Jahren, erinnert sie sich noch klar und deutlich an viele historische Begebenheiten. Bei der Herstellung der Figuren aus Theaterstücken und dem Zurechtschneiden von Alltagsszenen hat sie ihren eigenen Stil entwickelt. Ihre Werke sind lebendig und bei vielen Menschen deshalb gerade so beliebt.
Die Scherenschnitte aus den verschieden Gebieten Chinas können untereinander variieren. So bestechen Exponate aus dem Nordwesten, der durch seine ungünstige geographische Lage rückständig ist, durch ihre klassische Schlichtheit. Dagegen sind die Scherenschnitte aus den prosperierenden Küstengebieten detailreich und die aus dem Nordteil der Provinz Guangdong prachtvoll. Die Motive der Scherenschnitte aus den Provinzen Gansu, Shaanxi und Shanxi bestehen aus Schlangen, Fischen, Vögeln, Drachen, Tieren, den chinesischen Ahnenmenschen Fuxi und Nüwa und vielen anderem. Diese Bilder erinnern an die klassischen Motive der Wandmalerei bzw. der Ton- und Porzellangestaltung.
Eine Besonderheit stellen darüber hinaus die Scherenschnitte der Miao-Nationalität dar. Sie haben aus Papier meistens Figuren aus der Legende ihrer eigenen Nationalität gezaubert. Kunsthistoriker erkannten in den verwendeten Motiven Ähnlichkeiten mit denen der Han-Nationalität. Sie führen diesen Umstand darauf zurück, daß in der Vergangenheit wechselseitige Beziehungen zwischen diesen beiden Nationalität bestanden haben muß.
Früher war die Kunst des Scherenschnitts fest in weiblicher Hand. Doch im Zeichen der Gleichberechtigung gibt es immer mehr Männer, die sich diesem Hobby widmen. Doch auch ein Scherenschnitt wird heute nicht immer nur manuell, sondern durch moderne technische Methoden hergestellt. Damit wird die große Nachfrage nach Scherenschnitten wie bei anderen Waren des Kunsthandwerks auch durch Massenproduktion befriedigt. Männer aus dem Kreis Wei in der Provinz Hebei haben bei der Entwicklung solcher modernen Techniken bedeutende Erfolge erzielt. Zum Frühlingsfest findet man ihre maschinell hergestellten Scherenschnitte überall auf den Märkten. Dadurch kann jeder Chinese sich preiswert ein Stück Tradition in die eigene Wohnung holen und die Zimmer damit festlich dekorieren.