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01. 07. 2014 Druckversion | Artikel versenden| Kontakt

Stiftung Mercator

Höheres Lebenstempo in China Exklusiv

Schlagwörter: Salon, Michael Kahn-Ackermann, Stiftung Mercator

Am 21. Juni wurde die Sommer-Salon-Serie von der Stiftung Mercator eröffnet. Der erste Salon wurde von Michael Kahn-Ackermann (links), China Special Representative der Stiftung Mercator in China geleitet. Wang Xiaoyu (rechts), renommierter chinesischer Kulturkritiker und Jon Worth, englischer Blogger und Gründer von techPolitics LLP wurden als Gäste dazu eingeladen.

China.org.cn: Trotzdem mögen viele Deutsche China und leben in China. Wie sollte man mit einer fremden Kultur umgehen?

Ackermann: Je besser man eine fremde Kultur oder ein fremdes Land kennen lernt, desto differenzierter denkt man. Man denkt nicht so pauschal, dass China schwarz oder böse ist, beziehungsweise andererseits das Paradies. Deutsche, die lange in China gelebt haben, sehen die Wirklichkeiten Chinas ganz anders. Sie verstehen Zusammenhänge und können Phänomene einordnen. Ich mag das Land, obwohl ich oft wahnsinnig wütend werde, wenn ich sehe, was hier passiert. Ich erlebe vieles, was ich überhaupt nicht mag. Wie Chinesen übrigens auch. Trotzdem lebe ich hier und möchte hier leben. Das ist ein freiwilliger Entschluss. Das heißt, ich habe etwas mit diesem Land, was ich nicht einfach in gut oder schlecht aufteilen kann.

Die chinesische Politik hat häufig ein sehr einfaches Schema: Entweder du bist mein Freund oder mein Feind. Sie glaubt, Freundschaft heißt, alles gut zu finden, was man tut. Das ist aber in Wirklichkeit kein Freund, sondern jemand, der schmeichelt oder jemand, der etwas will. Die chinesische Politik tut sich sehr schwer damit, zuzulassen, dass die Menschen China sehen, wie es ist, nämlich kompliziert, widersprüchlich, manchmal furchtbar, manchmal wunderbar, wie jedes andere Land der Welt übrigens auch. China hat massive Probleme in vielen Bereichen und andererseits auch Enormes geleistet. Aber immer zu fragen, ob etwas gut oder schlecht ist - das ist eine sehr einfache Denkweise.

China.org.cn: Momentan ist China in vielen technologischen Bereichen wie Elektromobilität weltführend. Aber die meisten Chinesen haben sich noch nicht daran gewöhnt und wenig Selbstbewusstsein.

Ackermann: Ich bin kein Fachmann, aber sofern ich weiß, ist China in manchen technischen Bereichen tatsächlich Vorreiter, beispielsweise beim Internet, bei Hochgeschwindigkeitszügen, bei der Elektromobilität.

Ich habe gerade über einen Bekannten einen chinesischen CD-Player und einen chinesischen Verstärker aus dem Jahr 1989 gekauft. Technologisch und im Design gehören sie zum Besten, was ich je gesehen habe. Die Firma hat aber Pleite gemacht, weil Chinesen zu diesen Preis keine chinesischen Produkte kaufen wollten. Chinesen haben 1989 keine 2.500 Yuan für einen chinesischen CD-Player ausgegeben, sondern lieber 5.000 Yuan für einen japanischen. Sie glaubten nicht, dass sie erstklassige Produkte herstellen können. Das finde ich tragisch.

Aber ich habe auch andere Erfahrungen. Momentan hat China ein großes Problem mit handwerklichen Leistungen. Wir haben beispielsweise gerade eine Wohnung gekauft. Die Handwerker sind katastrophal. Ich habe den Eindruck, dass es hier überhaupt keine Standards für die Arbeiter gibt. Es geht nur darum, alles möglichst schnell zu machen. Und darauf zu hoffen, dass der Besitzer nicht merkt, wenn gepfuscht wird.

Meiner Meinung nach fehlt in China etwas, was in Deutschland sehr wichtig ist: Der Stolz darauf, etwas gut und richtig zu machen. Das heißt, man macht etwas nicht nur deshalb gut, um dafür Geld zu bekommen oder weil der Kunde das erwartet, sondern um stolz auf das Geleistete zu sein. Das ist wahrscheinlich in Deutschland mehr verbreitet als in China.

China.org.cn: Wie wird "Made in China" momentan in Deutschland akzeptiert?

Ackermann: Chinesische Qualitätsprodukte wie beispielsweise WeChat benutzen immer mehr meiner deutschen Bekannten. Huawei und andere Firmen setzen sich auch in Deutschland durch. China hat den Ruf, ein billiges Land zu sein. Die Produkte werden billig hergestellt und sind qualitativ schlecht. Das ändert sich in Moment ein bisschen. Aber so ein Prozess dauert lange.

"Made in Germany" ist heutzutage ein Gütesiegel, mit dem deutsche Firmen werben. Aber wissen Sie, woher der Begriff stammt? Die englische Regierung hat im 19. Jahrhundert die deutschen Firmen gezwungen, ihre Produkte mit "Made in Germany" zu kennzeichnen, damit die Engländer diese schlechten Produkte nicht kaufen. Deswegen sage ich, dass sich solche Dinge ändern können.

 

Zur Person:

Michael Kahn-Ackermann ist 1975 zum Studium an der Peking-Universität zum ersten Mal nach China gekommen. Er studierte dort chinesische Gegenwartsgeschichte. Später wendet er sich der chinesischen Gegenwartsliteratur zu. Bis heute hat er für vier längere Zeitspannen in China gelebt, insgesamt 18 Jahre. Er hat zahlreiche Werke chinesischer Gegenwartsliteratur ins Deutsche übersetzt. 1988 hat er das Goethe-Institut in Beijing gegründet und zweimal (1988-1994 und 2006-2011) geleitet. Während seiner zweiten Amtszeit hat er zwischen 2007 und 2010 die groß angelegte Veranstaltungsreihe "Deutschland und China – Gemeinsam in Bewegung" geleitet. Heute ist er als Berater der Zentrale des Konfuzius-Instituts und als China Special Representative der Stiftung Mercator tätig.

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Quelle: german.china.org.cn

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