Eine Reklame in Nanjing hat kürzlich wegen ihrer vermeintlichen
Anstößigkeit die allgemeine Aufmerksamkeit in China erregt. Auf
einer riesigen städtischen Werbefläche fand sich die Reklame eines
Geschäfts für Innendekoration, auf der in großen Schriftzügen
stand: "Woran denken Sie, wenn Sie satt und warm gekleidet sind?",
gefolgt von "Raten Sie mal…" in kleiner Schrift. Die Antwort war in
noch kleinerer Schrift gedruckt: "An die Innendekoration Ihrer
Wohnung."
China-Unkundigen wird hier nichts befremdlich vorkommen, aber für
die meisten Chinesen enthält diese Reklame eine klare sexuelle
Andeutung, da eine allgemein bekannte chinesische Redensart besagt:
"Wenn man satt und warm gekleidet ist, denkt man an sexuelle
Freuden." Offensichtlich wird in dieser Reklame darauf
angespielt.
Nicht erstaunlich ist es daher, daß diese Reklame eine
Auseinandersetzung in den chinesischen Medien hervorgerufen hat.
Einige kritisierten sie als unmoralisch. Andere meinten, ob die
Reklame negativ oder positiv zu bewerten sei, hänge davon ab, wie
das Publikum sie verstehe. Im Fokus der Debatte standen die
folgenden Fragen: Soll Werbung durch ein Moralgesetz beschränkt
werden? Wie weit soll die Zensur gehen? Und von wem soll die Zensur
durchgeführt werden?
Es
soll eine strenge Zensur für Werbung geben
Dong Zui (ein Kolumnist der Arbeiterzeitung): Es ist wirklich
schwierig, ein Urteil über diese Reklame zu fällen, da sie weder
offensichtlich unanständig ist noch offensichtlich gegen den
öffentlichen Moralkodex verstößt. Deshalb kann das Werbegesetz hier
nicht greifen. Ein Beamter eines lokalen Verwaltungsamtes für
Industrie und Handel sagte: "Bei der Beurteilung einer Reklame
achten wir hauptsächlich darauf, ob sie offensichtliche Worte
enthält, die sich auf obszöne Taten und Gedanken beziehen." Die
"unmoralische" Natur dieser Reklame ist jedoch auf andere Weise
zustande gekommen.
In
der Marktwirtschaft ist sowohl eine gesetzliche als auch eine
moralische Verantwortung erforderlich. Letzteres bedeutet, daß
Produkte oder Services, die angepriesen werden, nicht die gemeinen
Gelüste der Leute stimulieren sollten. Man sollte zum Beispiel
Kindern weder Zigaretten und Spirituosen verkaufen noch sie dazu
verführen, pornographische Bücher zu lesen oder sich
pornographische Videofilme anzusehen. Das gilt auch für den Verkauf
von Kondomen mithilfe von Werbung, die eine wollüstige Vorstellung
erwecken können, ungeachtet, wie implizit die Darstellung auch sein
mag. Obwohl dieses Vorgehen nicht illegal ist, ist es doch
"unmoralisch" und entspricht nicht dem öffentlichen Moralkodex.
Das, was "unmoralisch" ist, offenbart die häßlichsten Dinge im
menschlichen Herz. Die Reklame in Nanjing suggeriert zumindest, daß
das, woran man denkt, wenn man "satt und warm gekleidet ist", Sex
ist.
Prof. Bao Zhongwen (ehemaliger Dekan der Fakultät für Chinesische
Sprache der Nanjing-Universität): Wie kann eine Reklame einer
solchen Geschmacklosigkeit auf einer öffentlichen Werbefläche
angeschlagen werden? Offensichtlich wollte ihr Entwerfer die
Aufmerksamkeit des Publikums mittels dieser alten Redensart
erregen. Diese sexuelle Anspielung ist irreführend. Solch eine
ungesunde Reklame sollte unverzüglich beseitigt werden.
He
Yuan (ein Bürger aus Nanjing): Eine derartige Reklame ist nicht nur
niederträchtig, sondern zeigt auch den Mangel an Kultivierung und
moralischer Bildung des Inserenten. Ich glaube nicht, daß Reklamen
wie diese ein gutes Echo finden oder einen großen wirtschaftlichen
Nutzen bringen werden.
Bei der Planung ihrer Werbung versuchen viele Inserenten mit allen
Mitteln, einen möglichst unbegrenzten Raum für alle erdenklichen
Vorstellungen, darunter auch schmutzige Phantasien, zu schaffen.
Das hat sich aber als nutzlos erwiesen. Wenn sie keine schönen und
bildhaften Worte für ihre Werbung finden können, wäre es besser,
daß sie eine einfache und offene Sprache gebräuchten.
Liu Yibin (ein Kolumnist der Chinesischen Jugendzeitung): Das
Versäumnis des lokalen Verwaltungsamtes für Industrie und Handel in
Nanjing, eine solch widerliche Reklame im öffentlichen Raum zu
verhindern, hat offensichtlich Probleme mit der Verwaltung der
Werbung gezeigt.
Werbung sollte als eine Art Massenmedium betrachtet werden. Eine
große Werbefläche, die sich im Zentrum einer Großstadt befindet,
hat eine vergleichsweise große Wirkung wie eine Zeitung mit einer
Auflage von Hunderttausenden Exemplaren. Eine der Besonderheiten
öffentlicher Werbeflächen ist, daß sie für alle Altersgruppen in
der Gesellschaft zugänglich ist. Im Fall des Fernsehens und der
Zeitungen aber können die Eltern eingreifen, wenn sie finden, daß
gewisser Inhalt ungeeignet für ihre Kinder ist.