Die Urbanisierung ist ein Prozess, in dem die
nichtlandwirtschaftlichen Industrien allmählich an Bedeutung
gewinnt und der Anteil der bäuerlichen Landbevölkerung an der
Gesamtzahl der Einwohner nach und nach abnimmt. China ist
traditionell ein großes Agrarland, aber seit Ende der 70er Jahre
ist im Zuge der Reform- und Öffnung die nichtagrarische Wirtschaft
rapide gewachsen. Die Industrialisierung brachte es zudem mit sich,
dass immer mehr Landbewohner in die Städte drängten und dort den
Arbeitskräftemangel in den stürmisch wachsenden Bereichen Industrie
und Dienstleistungen überwanden halfen. Inzwischen sind zahlreiche
ehemalige Bauern und Landbewohnern praktisch zu Städtern geworden.
Insbesondere haben zahlreiche Bauern durch den Aufschwung der
kleinen Städte, in denen arbeitskräfteintensive Industrien
vorherrschen, ihre Lebensweise verändert.
Fu
Chonglan, Wissenschaftsrat am Forschungsinstitut für Stadt und
Entwicklung bei der chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften,
beschreibt die Urbanisierung in China so:
„Die Stadtbevölkerung macht in China derzeit rund 1/7 der
Gesamtbevölkerung aus. Seit Beginn der Reform und Öffnung im Jahr
1978 zeigt die Urbanisierung in China eine durchschnittliche
Jahreswachstumsrate von 0,62%, also das zweifache des
Weltdurchschnitts. Die vorhandenen Metropolen und Ballungsgebiete
haben sich nachhaltig weiter entwickelt. Auch die mittleren Städte
entwickeln sich stürmisch. Zudem entwickeln sich die kleinen Städte
auf einer immer höheren Stufe, um dann zu wirtschaftlichen und
kulturellen Zentren in den ländlichen Gebieten zu werden.“
Die Urbanisierungsrate in China lag Ende 2001 bei 37,7%. In den
vergangenen mehr als 20 Jahren sind jedes Jahr nahezu 10 Millionen
Bauern in die Städte gezogen, aus denen rund 70% des gesamten
chinesischen Bruttoinlandprodukts stammen.
Dazu sage Fu Chonglan, um die ländlichen Gebiete gedeihen zu
lassen, müsse man die Urbanisierung fördern, was mit einem weiteren
prozentualen Rückgang der Landbevölkerung einhergehe. Dies sei ein
Grundprinzip in aller Welt und auch hier in China eine wichtige
Strategie zur Förderung gesunder wirtschaftlicher Kreisläufe und
einer koordinierten sozialen Entwicklung.
Die Entwicklung der Urbanisierung in China rückt immer näher an das
Niveau der Industrieländer heran. Dabei sind in den vergangenen
mehr als 20 Jahren neue Möglichkeiten für die Urbanisierung in
China entstanden.
Schätzungen von Fu Chonglan zufolge wird sich die Geschwindigkeit
der Urbanisierung in China künftig bei mindestens 0,6% bewegen.
Dies begründet er so:
„Im 21. Jahrhundert wird die Urbanisierung in China einen
qualitativen Sprung erleben. Über das ganze Land sind große,
mittlere und kleine Städte verteilt. Die Entwicklung der großen,
mittleren und kleinen Städte wird die Integration zwischen Stadt
und Land weiter fördern, die Landbevölkerung wird bedeutend
abnehmen. Im Zuge der Verwirklichung eines umfassenden bescheidenen
Wohlstandes bis 2020 wird das Urbanisierungsniveau in China auf
über 50% steigen.“
Derzeit legt man bei der Urbanisierung in China großen Wert auf die
Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit der Städte, damit diese zu
regionalen Zentren des Wirtschaftsaufschwungs werden können.
Derartige städtische Ballungsgebiete mit Ausstrahlungsfunktion
haben sich bereits im Jangtse-Delta in Ostchina, im Delta des
Perlen-Flusses in Südchina und rund um die Bohai-Bucht in Nordchina
gebildet – sie sind zu Lokomotiven der chinesischen
Wirtschaftsentwicklung geworden.
Gleichzeitig weist Fu Chonglan aber darauf hin, dass trotz der
bedeutenden Erfolge bei der Urbanisierung in China immer noch rund
800 Millionen Einwohner zur Landbevölkerung zählen. Zudem bilden
die überschüssigen Arbeitskräfte aus den ländlichen Gebieten zur
Zeit das größte strukturelle Problem bei der Wirtschaftsentwicklung
in China. Wegen der geringen durchschnittlichen Anbaufläche hat
sich die chinesische Landwirtschaft stets sehr begrenzt entwickelt.
Und wegen der geringen Kaufkraft der bäuerlichen Bevölkerung, die
aber noch immer den Löwenanteil der Einwohner Chinas ausmacht,
werden weiterhin manche Industrie- und Agrarprodukte nicht
abgesetzt werden können.
Diese Auffassung von Fu Chonglan teilt auch der Direktor der
Forschungsabteilung für die Wirtschaft ländlicher Gebiete beim
Staatsrat, Xie Yang. Er hält es deshalb für erforderlich, den Auf-
und Ausbau insbesondere der kleinen Städte und Gemeinden noch zu
beschleunigen, damit sie bei einer koordinierten Entwicklung mit
den mittleren und großen Städten ebenfalls überschüssige
Arbeitskräfte vom Lande aufnehmen – und urbanisieren - können.
Nach Meinung von Xie Yang unterscheidet sich die Urbanisierung in
China ganz deutlich von der in westlichen Industrieländern
insbesondere durch die Rolle, die große, mittlere und kleine
Städten sowie die kleinen Gemeinden dabei spielen.
Die Wirtschaftskraft der großen Städte könne das ganze Land
beeinflussen. Die mittleren Städte dienten einer Region und
spielten dort eine führende Rolle, und die kleinen Gemeinden
sollten den ländlichen Gebieten dienen. Diese Arbeitsteilung sei
typisch und unwechselbar. Dazu sagte Xie Yang weiter:
„Große, mittlere und kleine Städte und Gemeinden sollen sich
miteinander koordiniert entwickeln. Dabei gehört auch die
Entwicklung von kleinen Städten und Gemeinden zur
Urbanisierungsstrategie Chinas, denn sie sollen wie geplant 150 bis
200 Millionen Bauern aufnehmen. Zudem wird dies zum weiteren Aufbau
des Städtestreifens und zur Urbanisierung insgesamt beitragen.“
Nach Xie Yang soll China bei der Urbanisierung jene Irrtümer und
Fehler vermeiden, die in westlichen Ländern bei der Urbanisierung
gemacht wurden. Es gelte also, Problemen wie der Umweltzerstörung,
der Ressourcenverschwendung, der Zerstörung von antiken
Baudenkmälern und Hinterlassenschaften und der Luftverschmutzung
von Anfang an große Aufmerksamkeit zu schenken. Ein gesunder und
auf die nachhaltige Entwicklung gerichteter Urbanisierungsweg sei
deshalb für China ganz wichtig. Dazu müssten vor allem neue
Industrien mit hoher technischer Innovation, guter wirtschaftlichen
Effizienz, niedrigem Ressourcenverbrauch und hoher
Umweltverträglichkeit entwickelt werden.
Weiter sagte Xie Yang, die Regierung müsse noch stärker für den
Auf- und Ausbau der Infrastruktur, des Umweltschutzes und der
öffentlichen Dienstleistungseinrichtungen wirken, die
Stadtfunktionen weiter vervollkommnen und das Lebensumfeld der
Stadtbevölkerung verbessern, um der weiteren Urbanisierung in China
zusätzliche Impulse zu geben.