Die chinesische Motorradindustrie ist zu einem Stützpfeiler der
chinesischen Wirtschaft geworden. Mit einer Jahresproduktion von
12,5 Millionen Maschinen im Jahr 2001 war China der größte
Motorradproduzent der Welt.
Motorräder spielten eine wichtige Rolle bei der Entlastung des
Verkehrs in den Städten und bei der Erschließung der ländlichen
Gebiete eine wachsende Rolle, da ein Auto für die meisten Chinesen
außerhalb der Großstädte immer noch ein großer Luxus ist. Die
Mitgliedschaft Chinas in der Welthandelsorganisation stellt die
chinesische Motorradindustrie dabei vor neue Entwicklungschancen
und Herausforderungen.
Xi
Xuejin, der Direktor der chinesischen Gesellschaft für das
Automobilingenieurwesen, gab uns in einem Gespräch einen Überblick
über die Entwicklung der chinesischen Motorradindustrie:
„Die chinesische Motorradindustrie hat sich in den letzten mehr als
40 Jahren und besonders seit der Einführung der Reform- und
Öffnungspolitik vor über 20 Jahren und der damit verbundenen
Verbesserung des Lebensniveaus der chinesischen Bevölkerung schnell
entwickelt. Dabei ist das Produktionsvolumen von 49.000 Motorrädern
im Jahr 1980 auf 12,5 Millionen im Jahr 2001 angestiegen und hat
damit den ersten Platz in der Welt eingenommen. 2001 wurden
außerdem 2,8 Millionen Motorräder exportiert, das waren 23 % der
gesamten Produktion.“
Xi
Xuejin zufolge besitzen derzeit 4,6% aller Chinesen ein Motorrad.
Dieser Wert liegt weit über dem durchschnittlichen Welt-Niveau von
2,5%. Durch die unausgeglichene wirtschaftliche Entwicklung in den
verschiedenen Gebieten Chinas ist auch die Verteilung
dementsprechend unterschiedlich. Beispielsweise liegt die
Besitzquote in den südostchinesischen Küstengebieten bei 20%, was
dem Niveau von Industrieländern entspricht, während die Quote in
Westchina nur bei 0,6 bis 0,7% liegt.
Zudem sind in den vergangenen mehr als 20 Jahren eine Reihe von
großen Unternehmen in der chinesischen Motorradindustrie
herangewachsen. Dazu noch einmal Xu Xuejin:
„Inzwischen hat die Jahreskapazität der chinesischen
Motorradunternehmen eine Jahresproduktion von 15 Millionen
Motorrädern und 16 Millionen Motoren erreicht. 18 Unternehmen in
China können pro Jahr mehr als 200.000 Motorräder herstellen, und
einige wie Jialing, Lifan und Qingqi haben schon eine
Produktionskapazität von über 1 Million pro Jahr erreicht.“
Dabei haben Kleinkrafträder unter 125 Kubikzentimeter Hubraum mit
mittleren und kleinen Emissionsvolumen den Löwenanteil der
chinesischen Motorradproduktion. Auf dem Weltmarkt sind chinesische
Produkte zwar immer noch weitaus preisgünstiger als Produkte aus
anderen Ländern, können jedoch inzwischen auch in Sachen Qualität
mithalten.
Immer mehr Kunden in Europa, Amerika und Asien kaufen chinesische
Leichtmotorräder. Besonders auf dem Markt in Südostasien, wie zum
Beispiel in Vietnam und Indonesien, haben die chinesischen Produkte
ihre japanischen Konkurrenten vom Markt verdrängt.
Zur Zeit präsentieren sich immer mehr chinesische
Motorradunternehmen auf dem Weltmarkt. Das 1999 gegründete
Werksteam Zongshen der Zongshen Motorrad Gruppe ist zur Zeit das
einzige chinesische Motorrad-Team, das an der Weltmeisterschaft
teilnimmt. 2000 und 2001 wurde das Team von der Internationalen
Motorrad-Föderation in die „Top 10“ der weltbesten Motorradteams
gewählt. 2002 ist das Team Enduro-Weltmeister geworden.
Ein weiteres Beispiel hat etwas mit Deutschland zu tun. Die Xinyuan
GmbH, eine Tochtergesellschaft des größten privaten chinesischen
Motorrad-Produzenten Lifan Industrien GmbH, die wie Zongshen auch
aus dem südwestchinesischen Chongqing kommt, hat durch
erfolgreiches Sponsoring beim deutschen Bundesligisten TSV 1860
München zum Transfer des chinesischen Fußballspielers Shao Jiayi
von Beijing Guo’an zu seinem neuen Arbeitgeber TSV 1860 München
beigetragen. Xinyuans Logo ist auf dem Trainingplatz, in der
Hauptarena sowie bei den verschiedenen PR-Aktivitäten der Münchner
Löwen präsent und wird dazu beitragen, den bekanntheitsgrad des
chinesischen Unternehmens auch in Deutschland zu erhöhen. Im
Gegenzug hat sich der TSV 1860 verpflichtet, die Produkte von
Xinyuan in Deutschland populär zu machen und Geschäftsreisen von
Xinyuan- Mitarbeitern nach Deutschland, insbesondere nach München,
zu sponsorn.
Die chinesische Motorradindustrie hat einen großen Beitrag zur
Entwicklung der chinesischen Volkswirtschaft geleistet. Sie hat
nicht nur mehr als 1 Million Arbeitsplätze geschaffen und den
Export gesteigert, sondern auch die Entwicklung verwandter
Industriezweige angekurbelt.
Am
10. November 2001 war China Mitglied der Welthandelsorganisation
(WTO) geworden. Dieser Schritt wird die chinesische
Motorradindustrie tiefgreifend beeinflussen. Verbandschef Xi Xuejin
zufolge werden folgende Faktoren die Aufmerksamkeit auf sich
ziehen.
„Viele ausländische Produkte werden nun auf den chinesischen Markt
gebracht. Als Mitglied der Welthandelsorganisation muss China
beispielsweise schrittweise die Importzölle senken, um der
Handelsliberalisierung der WTO zu entsprechen.“
Da
die in China hergestellten Leicht-Motorräder mit kleinem und
mittlerem Emissionsvolumen in Qualität und Preis mit ausländischen
Fabrikaten konkurrieren können, werden die WTO-Maßnahmen dieses
Marktsegment nur sehr begrenzt beeinflussen. Allerdings dürfte der
Markt für Motorräder mit mehr als 125 Kubikzentimeter Hubraum – in
China wird bislang zur Klassifizierung von Motorrädern nicht der
Hubraum, sondern das Emissionsvolumen benutzt - von internationalen
Marken dominiert werden.
Darüber hinaus werden immer mehr ausländische Unternehmen auf dem
chinesischen Motorradmarkt Präsenz zeigen und durch direkte
Investitionen wie Unternehmenskauf, Fusion oder Joint-Ventures die
chinesische Motorradindustrie aktiv mitgestalten. Vor allem werden
die chinesischen Unternehmen den modernen Technologien und dem
Know-How der ausländischen Unternehmen profitieren, um dann selbst
Motorräder mit höherer Qualität zu niedrigerem Preis herstellen und
vor allem verstärkt exportieren zu können.
Da
die Lohn- und Arbeitskosten in China weitaus niedriger sind, als in
anderen Industrieländern, und sich andererseits die Qualität der
chinesischen Produkte kaum noch von internationalen Standards
unterscheidet, hofft man wegen der niedrigeren Herstellungspreise
auf steigende Exportzahlen.
Nach Meinung von Xi Xuejin wird die Produktion von
Motorrad-Einzelteilen auch nach Chinas WTO-Beitritt weiterhin eine
gute Perspektive haben. China werde in naher Zukunft global gesehen
Hauptproduzent von Motorrädern und Motorradeinzelteilen werden.
Die chinesische Motorradindustrie ist nach den vergangenen mehr als
20 Jahren mit ihrem Produktionsvolumen weltweit auf Platz eins
vorgerückt. Dennoch muss man sich in China nach dem WTO-Beitritt
dafür einsetzen, dass nach der Quantität jetzt ganz klar die
Qualität im Vordergrund steht.