Wenn man von Chongqing aus am Jangtse-Fluss entlang in Richtung
Unterlauf fährt, sieht man in der Gemeinde Guling im Kreis Yunyang
einen gewaltigen Hügel mitten in der Landschaft. Er wird von den
Anwohnern „Mausoleum des Königs Chu“ genannt. Nachdem nun der Fluss
am Drei-Schluchten-Staudamm aufgestaut wird und das Wasser im
Stausee unaufhaltsam steigt, versinkt dieses Mausoleum für immer in
den Fluten. Die chinesischen Archäologen hatten also viel zu tun,
das Rätsel dieses riesigen Grabhügels rechtzeitig zu lösen.
Klassische Grabungen am Hügel hätten viel zu lange gedauert.
Überhaupt stehen die Archäologen im Drei-Schluchten-Gebiet unter
Zeitdruck, denn inzwischen steigt das Wasser im Stausee
unaufhaltsam, jeden Tag mehrere Meter.
Es
ist ein Wettlauf gegen die Zeit – und gegen das Wasser. Deshalb
hielten modernste Methoden der geologischen Erkundung auch in die
Archäologie im Drei-Schluchten-Gebiet Einzug. Mit
High-Tech-Methoden kann man zwar die im Boden verborgenen
Kulturgegenstände nicht direkt sehen, wohl aber ihre physikalische
Beschaffenheit sichtbar machen und erfassen und daraus ein
adäquates Abbild gewinnen. Denn im Boden verborgene historische
Hinterlassenschaften unterscheiden sich hinsichtlich des
Magnetfeldes, der seismologischen Reaktion und der Schwerkraft von
der umgebenden Bodenschicht. Modernste Messgeräte können hier schon
geringste Abweichungen erkennen und sichtbar machen. Eine
Auswertung der gewonnenen Daten ermöglicht präzise Aussagen über
die Beschaffenheit der tief im Boden verborgenen Kulturgegenstände,
ohne dass dazu umfangreiche Ausgrabungen nötig wären.
Ursprüngliche wurden derartige High-Tech-Erkundungsmethoden
entwickelt, um Bodenschätze aufzuspüren, vor allem Erze. Dabei
besteht die Technologie aus mehreren Einzelbestandteilen,
beispielsweise Fernerkundung, Messungen des elektrischen und des
Magnetfeldes sowie der seismologischen und Schwerkraftwerte. Dazu
meinte der frühere Vize-Berater der chinesischen geophischen
Akademie, Jiang Hongyao, die Situation unter dem Boden zu
beobachten, ohne zu graben, sei eine neue Herausforderung für die
Archäologen. Gleichzeitig habe sich diese Technologie aber bei den
Geologen bewährt. Als er den Bericht über den Schutz von
historischen und Kulturgegenständen im Drei-Schluchten-Gebiet
gelesen habe, sei ihm eingefallen, dass man ja Technologien aus der
Geologie verwenden könne, um die Erkundung und Erfassung der
Kulturgegenstände unter dem Boden im Drei-Schluchten-Gebiet zu
beschleunigen.
Also gingen das geophysikalische Forschungsinstitut des
chinesischen Erdbebendienstes, das japanische Grabungsunternehmen
Tanaka und das geophysikalische Forschungsinstitut der chinesischen
Akademie für Naturwissenschaften daran, erstmals für archäologische
Zwecke Methoden der geologischen Erkundung einzusetzen. Schon die
ersten Ergebnisse zeigten, dass es sich hier tatsächlich um ein
großes Mausoleum aus dem Altertum handeln musste. Diese Information
sorgte in der archäologischen Fachwelt für Aufsehen. Bei ersten
Probegrabungen stieß man allerdings nur auf einige kleine Gräber.
Damit schien bestätigt, dass es sich wohl nicht um ein Königsgrab
handeln konnte.
Oder aber die ersten Ergebnisse der geologischen indirekten
Erkundung waren falsch. Trotz dieser Zweifel war der Forscherdrang
der Archäologen, die Kulturgegenstände unter dem Boden im
Drei-Schluchten-Gebiet mit moderner High-Tech zu erkunden,
ungebrochen. Das Archäologie-Forschungsinstitut der chinesischen
Akademie für Sozialwissenschaften untersuchte also den Grabhügel im
Kreis Yunyang in Fuling mit der CT-Erkundung und kam daraufhin zu
einigen neuen Schlussfolgerungen. Außerdem hatten die Mitarbeiter
des chinesischen historischen Museums mit High-Tech-Methoden einige
neue Steininschriften in Baiheliang in der Gemeinde Fuling entdeckt
und zugleich neue Erkenntnisse über die Grundwasserbeschaffenheit
in der Region gewonnen.
Satellitengestützte geologische Fernerkundung, eine Fülle von
geographischen Informationen, Erkenntnisse der Tier- und
Pflanzenkunde sowie der menschlichen Physiologie und die Auswertung
historischer Daten feuerten die Archäologen im
Drei-Schluchten-Gebiet weiter an, mit allen modernen Mitteln zu
suchen und zu forschen. Insofern haben sich Fernerkundung und
Radartechnik als neue Werkzeuge für die Archäologie erwiesen und
die Arbeit der Feldarchäologie qalitativ verbessert und effizienter
gemacht.
Dabei wurden vergleichende Studien mit anderen Gräbern im
Drei-Schluchten-Gebiet vorgenommen, beispielsweise mit Genanalysen.
Dies ermöglicht genauere Aussagen über die Stammesstruktur der
dortigen Einwohner im Altertum. Neue Methoden in der Archäologie
erbringen damit zusätzliche Informationen auch für angrenzende
Wissenschaftsgebiete.
Dabei ermöglicht der Einsatz von Computern eine schnellere
Speicherung, Analyse und Auswertung der vielfältigen Daten und
damit qualifiziertere und präzisere Schlussfolgerungen. Der
Direktor des Führungsteams für den Schutz des Kulturerbes im
Drei-Schlachten-Gebiet beim Kulturamt in Chongqing, Liu Yuchuan,
verwies außerdem darauf, dass die Archäologenteams im Einzugsgebiet
von Chongqing außerdem gleiche Softwarelösungen nutzen, was die
erfassten und ausgewerteten Daten tatsächlich vergleichbar
macht.
Außerdem sei geplant, eine Datenbank einzurichten und
Online-Portale zu erstellen, damit die Archäologenteams schon
unmittelbar vor Ort ihre Daten eingeben und so eine zügige
Auswertung ermöglichen können.
Der zunehmend interdisziplinäre Ansatz der Archäologen macht
zugleich die gewonnenen Daten auch für andere Fachgebiete immer
interessanter und verwertbarer. Nur so kann die von den Archäologen
im Drei-Schluchten-Gebiet gewonnene Datenflut aufbereitet und
ausgewertet werden, bevor wertvolles historisches Erbe für immer in
den Fluten verschwindet. Und nur so sind weitere fundierte
Forschungen und damit Aussagen über den historischen Prozesses der
gesellschaftlichen Entwicklung im Drei-Schluchten-Gebiet möglich,
selbst Teile dieses Gebietes dann in der Tiefe des neuen Stausees
verborgen sind.